Mauern als Lebensraum

Foto: historische Mauer bei der Klosterkirche Wittenburg/Elze  (Foto: Kauer)
Foto: historische Mauer bei der Klosterkirche Wittenburg/Elze (Foto: Kauer)

Aus der Sicht des Naturschutzes sind Mauern als typische und charakteristische Strukturelemente von Siedlungsräumen dabei besonders interessant, da es oft überraschend vielfältige Kleinstrukturen sind, deren Erhalt und Förderung einen wichtigen Beitrag zu kommunalen Biotop- und Artenschutzmaßnahmen liefern können.

Im Gegensatz zum geplanten Stadtgrün werden Mauern spontan besiedelt. Abhängig von Baumaterial, Alter, Art und Struktur des Bauwerks und Exposition erfolgt die Besiedlung in verschiedenen Stufen: beginnend mit Algen, Flechten, Moosen, Farn- und Blütenpflanzen. Bei ungestörter Entwicklung kann sich so innerhalb von einigen Jahrzehnten ein teils recht umfangreicher, teppichartiger Mauerbewuchs einstellen, welcher nicht nur bezüglich der Artenzahl, sondern auch der genetischen Vielfalt innerhalb der Arten - durch Übertragung von Pollen aus benachbarten Populationen oder durch Ausbreitung und erfolgreiche Ansiedlung von Samen und Früchten - den an natürlichen Felsstandorten gefundenen Verhältnissen ausgesprochen nahe kommt.

 

Die Mehrzahl der an Mauern vorkommenden Pflanzen sind allgemein verbreitete und häufige Arten wie die Weiße Taubnessel und die Große Brennessel. Dies gilt vor allem für leicht geneigte und unvermörtelte Stützmauern, die aufgrund des anstehenden Bodens eine gute Nährstoff- und Wasserversorgung aufweisen. Sehr viel schwieriger sind die Lebensbedingungen an vermörtelten, senkrecht stehenden Mauern..

Die am natürlichen (Fels-)Standort erworbene Überlebensstrategie ermöglicht den ursprünglichen Felsbewohnern dabei auch die Besiedlung von Ersatzbiotopen mit ähnlichen Verhältnissen. So speichern Arten wie der Weiße Mauerpfeffer das dringend benötigte Wasser in ihren dickfleischigen Blättern. Andere, wie die Dach-Hauswurz, besiedeln die niederschlagsreichere Mauerkrone, wo sie mittels ihrer rosettig angeordneten zahlreichen und sehr dicht stehenden Blättern das Regenwasser halten und so den eigenen Wurzeln über längere Zeit verfügbar machen. Eine physiologische Anpassung an den Wassermangel des Mauerstandorts zeigt das Mauer-Zimbelkraut, das im Laufe der Vegetationsperiode eine zunehmende Trockenheitsresistenz zeigt, indem es höhere Wasserverluste zu tolerieren vermag.

Verschiedene Ansprüche zeigen die Mauerarten auch hinsichtlich des bevorzugten Wuchsortes, des bevorzugten pH-Wertes, des Lichteinfalls usw.

Neben ihrem Pflanzeninventar können Mauern auch einer Vielzahl von Tieren eine Heimat geben. Beobachtungen von Eidechsen beim Aufwärmen an der Mauerwand, Netzbautechniken verschiedener Spinnen in den Mauerzwischenräumen, verschiedener Bienenarten bei der Nektar- oder Pollenaufnahme, Grabwespen beim Anlegen ihrer Nistplätze und vieles mehr können interessante Einblicke in das komplexe Gefüge der Mauerökologie geben und so nebenbei auch das Verständnis für vernetzte ökologische Systeme fördern helfen.

 

Allerdings sind Mauern nicht nur wichtige Ersatzlebensräume im Siedlungsbereich. Friedhofs-, Brücken-, Burg- und Klostermauern prägen vielmehr seit Jahrhunderten das Erscheinungsbild der Kultur- und Siedlungslandschaft. Werden diese durch Sanierungsmaßnahmen oder Abriss beschädigt oder zerstört, verlieren sie nicht nur ihre Funktion als Sekundärbiotop, sondern auch ihren historisch-kulturellen Wert. Auch beim Erhalt denkmalgeschützter Mauern sollte bedacht werden, dass nur die strukturelle Einheit von Mauer und Bewuchs ein Kultur- und Naturdenkmal darstellen kann; sandgestrahlte, wie Neubauten wirkende Bauwerke büßen nicht nur ihren jahrhundertealten Bewuchs, sondern auch ihren historischen Charakter ein.

 

Eine Bitte:


Auch wenn Maßnahmen zum Schutz von Mauern begrenzt sein können (unter anderem dadurch, dass in der Regel ja die primäre Funktion der Mauer beibehalten werden soll), sollte in jedem Fall zunächst sorgfältig, also auch unter Miteinbeziehung kundiger Biologen, geprüft werden, ob ein Erhalt des Mauerstandorts möglich ist. Dies wäre meist sehr einfach zu erreichen - es fehlt oft nur der gute Wille. Leider wird aber häufig allzu schnell das über lange Zeiträume an Mauern gewachsene Beziehungsgefüge unterschiedlicher Organismen zerstört.

Verzichten sollte man auf jeden Fall auf durch übertriebene Ordnungsliebe motivierte Säuberungsaktionen, die Verwendung kaum verwitterbaren Betonmörtels sowie den Einsatz von Herbiziden oder Sandstrahlgeräten. Mit sach- und fachkundig ausgeführten Extensiv-Pflegemaßnahmen kann sehr leicht dafür gesorgt werden, dass Gehölze nicht in Mauerfugen einwurzeln und so langfristig zu einer Schädigung des Bauwerks führen können (dies liegt im übrigen sowohl im Interesse des Besitzers wie auch des Naturschützers) oder die typische Mauerflora beschatten und damit langfristig verdrängen.

Auch gern gehegte Vorurteile wie der Eintrag von Feuchtigkeit in das Bauwerk können leicht entkräftet werden, da feuchtigkeitsliebende Pflanzen nur solche Mauerteile besiedeln können, die bereits feucht sind. Der Mauerbewuchs sorgt im Gegenteil durch die Entnahme von Wasser aus dem Boden unter der Mauer beziehungsweise aus der Mauer selbst für trockene Mauerwände.