3. Der Kanal als Lebensraum

Für die pauschale Erkenntnis, dass „die 15 km Kanal“ in der Börde mehr sind als bloß ein künstliche Wasserstraße, bedurfte es an sich keiner 300 Seiten Umweltverträglichkeitsstudie. Schon die Ergebnisse der floristischen Untersuchung einzelner Kanalabschnitte durch die botanische Arbeitsgemeinschaft (9/2008) und die Beobachtungen von Ornithologen des OVH zeigten auf, dass der Kanal aus Sicht des Naturschutzes mehr zu bieten hat als man gemeinhin annahm. Jetzt, wo die Umweltverträglichkeitsstudie vorliegt, wird die ökologische Bedeutung des Kanalgebietes für die Börde in seiner gesamten Tragweite „greifbar“. Schade nur, dass diese akribischen Untersuchungen eines Gebietes dann in Auftrag gegeben werden, wenn ein „robuster Eingriff“ bevorsteht.

 

Im Bereich der Gemeinde Harsum reichen Wälder auf der Ostseite des Kanals direkt bis an ihn heran. Es handelt sich um einen größeren, älteren naturnahen Eichen- und Hainbuchenmischwald, der als sehr wertvoll (Wertstufe V) klassifiziert wird. Es gibt ferner am Kanal artenreiche Krautschichten, vielfältige strukturreiche Kleinbiotope und ausgedehnte mittelalte Strauch-Baum-Hecken. Im Kanal selbst finden sich an mehreren Stellen Laichkräuter (Durchwachsenes und Glänzendes Laichkraut). In den kanalnahen Biotopen hat die botanische Arbeitsgemeinschaft des OVH 301 Gefäßpflanzen nachgewiesen, darunter waren 11 gefährdete Arten der Roten Liste Niedersachsen und Bremen.

 

Die Avifaunisten werden die 72 Vogelarten interessieren, von denen 60 Arten aktuell als Brutvögel im Untersuchungsgebiet eingestuft werden. Dem Kanalabschnitt bei Harsum kommt dabei wiederum eine „besondere Bedeutung“ zu. Hier wurden fünf Brutvogelarten der Roten Liste (Wachtel, Eisvogel, Grünspecht, Feldlerche, und Nachtigall) und fünf streng geschützte Brutvogelarten (Rohrweihe, Mäusebussard, Turmfalke, Eisvogel, Schwarzspecht, Grünspecht und Mittelspecht) nachgewiesen.

 

Fledermäuse weisen generell eine sehr hohe Schutzbedürftigkeit auf. Abgesehen von der besonderen Problematik der in einem Brückenhohlträger der Querung der B 6 über den Stichkanal festgestellten Wochenstubengesellschaft des Großen Mausohres wurden bei der Sommererfassung am Kanal zwölf Fledermausarten ( = sehr hohe Artenvielfalt) nachgewiesen. Der Stichkanal mit nahezu all seinen begleitenden Gehölzbeständen hat sich dabei als ausgeprägte Flugstraße und Jagdraum erwiesen.

 

Weite Bereiche der Feldflur entlang des Stichkanals, auch die Ackerflächen im Planungsgebiet auf der Westseite des Kanals, sind als potenziell gut geeignete Feldhamsterhabitate anzusehen.

 

Für Reptilien (nachgewiesen: Waldeidechse; bevorzugt auf der Westseite des Kanals und im Bereich des Kalihafens Harsum) und Amphibien (Problem: Defizite in der Lebensraumqualität des Gebietes) hat der Kanal eine allgemeine Bedeutung als Ausbreitungskorridor und Restlebensraum.

 

Für Libellen hat der Kanal eine besondere Funktion als Trittsteinbiotop und Ausbreitungsstruktur im Landschaftsraum der Hildesheimer Börde.

 

Tagfalter finden am Kanal einen Lebensraum von allgemeiner Bedeutung. Der dem Kanalneubauamt gemeldete Nachweis des Kleinen Eisvogels (Jochen Tänzer, 6/2008) findet in der UVS (noch) keine Erwähnung.

 

Für die 47 festgestellten Wildbienenarten ist das Gebiet wiederum von besonderer bis allgemeiner Bedeutung. Hier wurden 10 sog. Rote-Liste-Arten nachgewiesen.

 

Die Gemeinschaft der nachgewiesenen Heuschrecken wird geprägt von mesophilen Arten. Weiterhin wurden charakteristische Arten der Wald- und Gehölzränder festgestellt.

 

Die den Kanal begleitenden Strukturen haben ferner für viele Laufkäfer eine wesentliche Bedeutung hinsichtlich der Funktion als Lebensraum entlang von Sonderstrukturen in einer intensiv genutzten Agrarlandschaft sowie hinsichtlich der Funktion als Ausbreitungs-und Vernetzungsstruktur.

 

Die in der Gemeinde Harsum gelegenen Böschungsbereiche des Kanals sollen beidseitig abgeholzt, abgeflacht und anschließend „renaturiert“ werden. So werden die linearen Strukturen, die in der Börde selbst aus Ausbreitungskorridore dienen, beseitigt.

 

Spontan stellt sich die Frage, woher aus der umliegenden ausgeräumten Bördelandschaft die für eine Wiederbesiedelung des Gebietes erforderlichen Arten zuwandern sollen.

 

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